Die Schlacht bei Waldesruh.

Eine heitere Geschichte von Ralph v. Rawitz
in: „Stralsundische Zeitung, Sonntagsbeilage” vom 21.08.1904


Ein wunderschöner Sonntag lachte über Holmstedt, über seinen Marktplatz, die sauberen Straßen, die weißen Laternen und die Anlagen vor dem Tor. Er grüßte auch in das hübsche Haus inmitten eines wohlgepflegten Gartens hinein, das dem Kommandeur der 275. Infanterie-Brigade, Generalmajor v. Stein gehörte, und in dessen Speisezimmer alle Familienmitglieder zum Frühstück versammelt waren. Wenn aber draußen Fink und Stieglitz jubilierten und alles in Sommerwonne aufjauchzte und aufblühte, so fand diese freudige Stimmung drinnen keinen Widerhall. Im Gegenteil: die düstre Stirn des Hausherrn, der scharfe Zug um den Mund der Frau Generalin und die roten Augen des Fraulein Tochter deuteten auf Krieg und Ungewitter.

„Ihr kennt also nun meine Ansicht,” sagte der General, als Friedrich, der soeben den Tee hereingebracht hatte, wieder verschwunden war, „und damit ist das letzte Wort in dieser Angelegenheit gesprochen. Ich kann dem Naseweis, dem Bornfeld, mein Haus nicht verbieten, denn das hieße den Eklat nur noch vergrößern; aber ich verlange dringend, daß Du ihm keine Avancen machst, Meta, und ihn kühl, kühler, als alle anderen Leutnants behandelst. Er paßt mir nicht in meine Familie und damit Punktum.”

Nachdem diese Philippika, die von heftigem Trommelwirbel auf dem Teller begleitet war, ihr Ende erreicht hatte, verschwand Frl. Meta vom Frühstückstisch. Die Generalin aber ließ ein dreimaliges „Hm—hm” hören, was umgefähr ebensoviel besagte, als wenn ein Staat seine Gesandten abberuft und mobil macht. Herr v. Stein kannte diese Introduktion und beeilte sich mit seinem Frühstück; denn so überlegen er von seinem „Wotan” herab die Stabsoffiziere und Hauptleute seiner Brigade andonnerte, so wenig fühlte er sich dem schweren Geschütz der Frau Gemahlin gewachsen: sie konnte fürchterlich werden.

Heute begnügte sie sich mit einigen sanfteren Hinweisen, der Tonart nach. Sehr erbaut war der General aber auch von diesen Bemerkungen nicht.

„Siehst Du, Philipp, ich bin ganz Deiner Meinung,” sagte sie, „unnütze Liebeleien sind mir ganz contre coeur. Wie aber, wenn Bornefeld sich ernsthaft um Meta bemüht? Das müssen wir doch vermuten, denn mit unserer Tochter spielt man nicht.”

„Dann sollte ihn auch Dieser und Jener!”

„Nun also — wenn Bornefeld also an mehr gelegen ist, als um bloßes Courschneiden, was hast Du gegen ihn? Er ist ein hübscher Mensch und wohlhabend, sonst würde er nicht bei den Ulanen stehen. Er und Meta kennen sich nun drei Jahre und sind sich, wie ich anzunehmen Grund habe, herzlich zugetan. Worauf wartest Du eigentlich, Philipp? Glaubst Du, daß englische Lords auf eigener Dampfjacht über die Nordsee und elbaufwärts nach Homstedt schiffen werden, um eine Grafschaft in Schottland Deiner Tochter zu Füßen zu legen? Oder, daß ein russischer Großfürst sich in sie verlieben wird? Ich meine, man soll nehmen, was man bekommen kann, zumal, wenn die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, daß man eines Morgens als Zivilist aufwacht.”

Diese letzte Anspielung ärgerte den General maßlos. Er wurde dunkelrot, goß den Tee statt in die Tasse mitten auf das Tischtuch und warf seiner Frau einen Blick zu, bei dem ein Regimentskommandeur blaß geworden wäre. „Bedanke mich, bedanke mich für das Kompliment. Haha, soweit sind wir also schon, daß man auf meinen Abschied spekuliert?! Bravo! Aber da kennt Ihr mich schlecht, wenn Ihr mich so rumzukriegen hofft. Und war ich bisher nicht entschlossen, so bin ich es jetzt. Dieser elende Kavallerist wird niemehr mein Schwiegersohn.”

„Was ich Dich doch zu überlegen bitte, in Anbetracht dessen, daß wir drei Töchter haben. Die wollen untergebracht sein, Philipp. Willst Du die Verantwortung übernehmen, das Lebensglück Deiner Aeltesten gestört zu haben? Wie? Ich wasche meine Hände in Unschuld.”

Der General wollte etwas erwidern, aber der Eintritt Friedrichs verhinderte ihn an der Entgegnung. Der Bursche meldete, daß der „Wotan” gesattelt sei, und daß es auf der Rathausuhr soeben ½9 geschlagen habe.

„Ich muß also fort, meine Liebe, wir haben eine Uebung. Nach Tisch sprechen wir weiter.”

Die Generalin zuckte die Achsel und Herr v. Stein ging in sein Zimmer, um die Litewka mit dem vollen Schmuck der Waffen zu vertauschen. Eine halbe Stunde später erschien er auf dem Uebungsplatz, hart vor den Toren der Stadt, wo seine Brigade und ein zugeteiltes Detachement der Ulanen bereits Aufstellung genommen hatte.

Die Regimentskommandeure und der Führer der Ulanen erstatteten Meldung. Erstere empfingen ein freundliches „Guten Morgen” und „Danke”, letzterer nur einen eisigen Blick und einen flüchtigen Gruß am Helm; es war Oberleutnant v. Bornefeld, der so kühl behandelt wurde.

„Aha, ich weiß, was die Uhr geschlagen hat,” dachte der Leutnant, als er seinen Gaul kurz herumriß und zurückgaloppierte, „na — wir werden ja sehen, wer besser abschneidet, Du oder ich.”

Alsdann begann die Felddienstübung, bei der heute nichts recht klappen wollte. Dieser Ansicht war wenigstens der General, während sämtliche Leutnants die Meinung vertraten, der Alte habe heute mal wieder seinen „Dollpunkt”, gegen den nichts als stoischer Gleichmut helfe. „Laßt ihn doch, Kinder, er hat nun mal wieder den Burentaktik-Klapps. Das ist immer noch besser, wie der vorige Brigadier, der in Bindensitz und Mäntelrollen machte.&rdquo,

Bei der Schlußkritik zeigte der Herr General sich sehr ungnädig. „Es war garnischt, meine Herren, garnischt! Daß die Kavallerie nicht genügend aufklärte (Seitenblick zu Bornefeld) lasse ich dahingestellt; wir sind ja an das öftere Versagen der Reiterwaffe gewöhnt. (Ironisches Schnurrbartdrehen.) Aber auch die Infanterie ließ zu wünschen übrig. Meine Herren, das ist kein Heranpürschen an den Gegner. Ungesehen, ungehört müssen Sie da sein, wie Katzen auf dem Bauch schleichen, wie Nattern durch das Gelände sich winden. Und nun gar im Unterholz! — Kurz, Wiederholung, morgen des Tages. Und zwar W a l d g e f e c h t! Nähere Dispositionen gebe ich heute abend 6 Uhr. Dazu die Befehlsempfänger ins Geschäftszimmer der Brigade. Auf die Kavallerie verzichte ich morgen. Das machen wir selbst ebenso gut, wo nicht besser. Danke sehr, Morj'n.”

Die Herren von der Infanterie schimpften, Bornefeld lachte.

„Ja, Sie sind fein 'raus,” sagte Herr v. Kracht. „Sie können morgen faullenzen, aber wir — morgen derselbe Türke in Dunkelgrün — Pfui Deibel.” —

Als Herr von Bornefeld in seiner eleganten Junggesellenbude ankam, fand er ein Briefchen, das von einem Jungen abgegeben worden war. Es war ein Schreiben Metas, das in beweglichen Worten die Familieszene von heute früh schilderte und wenigstens den einzigen Lichtblick enthielt, daß die Generalin ganz auf Seiten der Liebenden stehe.

„Also darum war er heute so giftig,” sagte der Ulan zu sich selbst. „Hab' mir schon so was gedacht. Arme Maus, mir scheint, sie hat sogar geweint. Na, da muß Tröstung heran und zwar bald.”

Er überlegte ein paar Minuten, dann setzte er sich an den Schreibtisch und verfaßte folgende Epistel:

Liebe Meta!

Nur nicht verzagen, wie werden Papa schon besiegen, zumal Deine gute Mama uns beisteht. Ich möchte Dich gern persönlich sprechen und mache Dir folgenden Vorschlag. Ich bin morgen dienstfrei. Komme doch nach dem hübschen Aussichtspunkt „Waldesruh”. Deine Schwester Ina kann Dich ja als dame d'honneur begleiten. Wir plaudern ein halbes Stündchen, erfreuen uns an der herrlichen Natur und überlegen, wie wir es anstellen, um den Papa weich zu klopfen. Nachher: Erdbeeren mit Sahne in der Försterei. Ich proponiere 11 Uhr vormittags.
Dich grüßt und küßt Dein treuer

Fritz.

Als Fräulein v. Stein diesen Brief empfing, war sie unschlüssig, was tun. Ina, die wohl besonders die Erdbeeren reizen mochten, redete aber solange der älteren Schwester zu, bis diese einwilligte.

„Weshalb sollten wir beide nicht nach „Waldesruh” spazieren gehen? Es ist ja doch nur ein halbes Stündchen, und unsere Damen promenieren dort sehr oft. Und wenn wirklich uns jemand mit Bornefeld sieht, so können wir ihn doch ganz zufällig getroffen haben. Was ist denn dabei? Er verkehrt bei uns, er tanzt mit uns, er ist mit Dir ausgeritten, weshalb soll man nicht in „Waldesruh” ein paar Worte wechseln? Sei doch nicht prüde, Meta, das ist lächerlich!”

Dem Gewicht solcher Gründe konnte Meta nicht widerstehen; sie schrieb auf ein Blättchen ein einfaches „Ja”, und damit war die Sache entschieden. — —

Die 275. Brigade tat heute ihr Möglichstes, um einer nochmaligen Wiederholung der anstrengenden taktischen Uebung zu entgehen. Sie hatte bereits drei formidable Stellungen genommen, eine ganze feindliche Division im Feuergefecht (natürlich blind, Patronen sind teuer) niedergekämpft, und wurde nun zu einem letzten großartigen Stoß angesetzt.

„Denken Sie an die Waldgefechte bei Königgrätz, meine Herren,” sagte der General, „so was kann im Ernstfalle sehr leicht kommen. Wir nehmen aber an, daß die Sachlage noch nicht ganz geklärt ist, und gehen durch den Forst in aufgelösten Formationen. Leise, wie ein Katzentier, bitte ich mir aus, und ohne Schuß. Verstanden? Ich meinesteils schließe mich dem zweiten Bataillon, Regiment 403, an und werde versuchen, die Kuppe zu gewinnen, welchen den Namen „Waldesruh” trägt. Nach Einblick in das Gelände treffe ich dort weitere Maßnahmen. Bitte anzutreten.”

Die Musketiere machten ihre Sache trefflich; sie schlichen durch das Unterholz, deckten sich hinter jedem Baume, benützen jeden Graben; die Offiziere vorneweg, mit Winken dirigierend, nach links und rechts Fühlung haltend, die Marschrichtung, die im Walde leicht verloren gehen kann, kontrollierend. Immer steiler stieg das Gelände, endlich zeigte sich ein leichter Höhenrücken, den es zu überwinden galt. Diese Hügel erschienen dem guten General trefflich als Objekt eines großen umfassenden Bajonettangriffs; er ließ plötzlich blasen, und mit donnerndem Hurra brausten die Bataillone hinauf, um den bösen, überraschten Feind zu erschrecken.

Ach ja — er war sehr überrascht und sehr erschreckt, der böse Feind, der oben auf einer Bank saß und sich gerade herzlich die Hände drückte, als das Hurra der 275. Brigade durch den Zaun erscholl. An Rückzug war nicht zu denken, denn schon nahte der Brigadestab auf schäumenden Rossen.

Als der General sah, welchen Gegner er mit seiner Katzen- und Ratten-Schleichtaktik gestellt hatte, da hätte er am liebsten „Das Ganze halt” und „Kehrt” blasen lassen. Aber der Hornist konnte nicht so schnell den Hügel hinauf, als das Schlachtroß des Führers, und der Brigadeadjutant hatte auch schon das Idyll aus „Waldesruh” bemerkt: Ina, höchst neugierig, in den Händen einen großen Waldblumenstrauß, Meta tödlich verlegen, mit dem Sonnenschirm hantierend, und Bornefeld sehr gefaßt, ein wenig schadenfroh und in tadelloser Haltung. — —

Die Schlacht war damit zu Ende.

General Stein hatte sie glänzend gewonnen, Papa Stein aber völlig verloren: noch vor Tisch streckte er die Waffen, und der erste Kuß, den der flotte Ulanenleutnant auf die Lippen seiner Braut drückte, besiegelte den Frieden. — Die 275. Brigade aber strich diesen Tag in ihrem Kalender rot an und lange noch, als Herr von Stein schon Exzellenz und Großpapa geworden war, sprach man in Holmstedt von der historischen „Schlacht bei Waldesruh”.

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